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Wechselmodell auch bei zerstrittenen Eltern möglich

Ein Kriterium bei der Entscheidung über ein Wechselmodell ist, ob die Eltern kommunizieren und zusammenarbeiten können. Doch auch wenn das nicht der Fall ist, kann das Wechselmodell für das Kind die beste Lösung sein.

Die Eltern üben das Sorgerecht für ihren 2010 geborenen Sohn gemeinsam aus. Bisher lebte der Junge überwiegend bei seiner Mutter. Der Vater wollte erreichen, dass die Eltern das Kind im paritätischen Wechselmodell betreuen.

Vor dem Familiengericht hatte er Erfolg. Die Mutter des Kindes legte Beschwerde ein. Sie wandte unter anderem ein, dass man die Anordnung eines Wechselmodells nicht mit dem Willen ihres Sohns begründen könne, da der Vater diesen manipuliere und beeinflusse. Im Übrigen seien mit der fehlenden Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit wichtige Voraussetzungen für ein Wechselmodell nicht gegeben.

Keine Kooperation der Eltern ‑ Wechselmodell trotzdem möglich?
Zwar sah das Gericht in zweiter Instanz das auch so: Eine vernünftige Kooperation und Kommunikation zwischen den Eltern sei derzeit kaum möglich. Die Richter stimmten trotzdem dem Wechselmodell zu und begründeten dies mit dem Kindeswohl und ‑willen.

Bei der Entscheidung über das Wechselmodell müssten Kriterien des Kindeswohls berücksichtigt werden. Dabei sei die Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit der Eltern aber nur ein Gesichtspunkt bei der Entscheidung, und dieser könne im Einzelfall zurücktreten. Auch bei hoch zerstrittenen Eltern könne das Wechselmodell dem Kindeswohl entsprechen. Das gelte dann, wenn zu erwarten sei, dass das Wechselmodell die Belastung des Kindes durch den Elternkonflikt vermindere. Für den Jungen stelle das Wechselmodell nach dem „Prinzip der Schadensminimierung“ das am wenigsten schädliche und damit im Vergleich beste Betreuungsmodell dar.

Paritätisches Wechselmodell: Auch der Wille des Kindes zählt
Entscheidend war für die Richter, dass sich der Junge im Verlauf des Verfahrens mehrfach klar und eindeutig für ein Wechselmodell ausgesprochen hatte. Daneben falle maßgeblich ins Gewicht, dass das Wechselmodell bereits seit Anfang Mai 2021 und damit seit nahezu einem Jahr praktiziert wird.

Die Richter zeigten sich überzeugt, dass der Wunsch des Jungen seinem wirklichen Willen und seinen wahren Bindungen zu beiden Elternteilen entspreche. Die persönliche Anhörung des Jungen habe ergeben, dass sein Wunsch nach einer paritätischen Betreuung einem eigenen tiefgreifenden Gerechtigkeitssinn entspreche und nicht bloß Ausdruck eines vordergründigen Fairnessbedürfnisses sei. Dieses Gerechtigkeitsempfinden sei zu respektieren. Ignoriere man den Willen des fast 12jährigen Kindes, berge dies die Gefahr einer Schwächung der kindlichen Selbstwirksamkeitserwartung und negativer Folgen für seine psychische Entwicklung.

Grundsätzlich komme dem Willen des Kindes mit zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit größere Bedeutung zu. Nur indem man der wachsenden Fähigkeit eines Kindes zu eigener Willensbildung und selbstständigem Handeln Rechnung trage, können man erreichen, dass das Kind sich durch Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln könne: „Zur schutzwürdigen Persönlichkeitsentwicklung des Kindes gehört auch dessen auf einem tief empfundenen Gerechtigkeitsgefühl beruhender Wunsch nach Gleichbehandlung beider Eltern.“

Oberlandesgericht Dresden am 14. April 2022 (AZ: 21 UF 304/21)

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